Siegfried Pitschmann (1930–2002)

Siegfried Pitschmann (1956)
Foto: Privat [3]


Siegfried Pitschmann war ein deutscher Schriftsteller. Er wurde am 12. Januar 1930 im niederschlesischen Grünberg (heute: Zielona Góra) geboren. Bis Ende 1944 lebte er in Grünberg, anschließend in Mühlhausen/Thüringen, ab 1960 gemeinsam mit Brigitte Reimann in Hoyerswerda, von 1964 bis 1990 in Rostock und danach bis zu seinem Lebensende in Suhl/Thüringen. Siegfried Pitschmann erlag am 29. August 2002 nach langer Krankheit in Suhl seinem Krebsleiden. Von 1951 bis 1958 war Siegfried Pitschmann mit Elfriede Stölcker verheiratet, von 1959 bis 1964 mit Brigitte Reimann, von 1964 bis 1976 mit Birgitt Pitschmann und von 1977 bis zu seinem Tod mit Undine Pitschmann. Siegfried Pitschmann hat drei Kinder: Sohn Thomas aus erster Ehe, Tochter Nora aus der dritten Ehe und Sohn David aus der vierten Ehe.

Siegfried Pitschmann hinterließ ein schmales, aber hochkarätiges Werk, das hauptsächlich von seinen sprachlich geschliffenen und anspruchsvoll konstruierten short stories geprägt wird; ergänzt durch Drehbücher, Theaterstücke und Hörspiele. Sein Briefwechsel mit Brigitte Reimann erschien 2013 unter dem Titel „Wär schön gewesen!“, 2015 erschien anlässlich seines 85. Geburtstag, der bis dahin unveröffentlichte Roman „Erziehung eines Helden“ und ein Jahr danach die „Erzählungen aus Schwarze Pumpe“ die das Romanthema aufgreifen. Im 2017 publizierten Sonderheft „Siegfried Pitschmann in Mühlhausen“ sind bisher unveröffentlichte Texte aus dem Frühwerk des Schriftstellers enthalten.

Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann
Foto: Siegfried Thienel [4]



Lebenschronik


1930
Siegfried Daniel Pitschmann wurde am 12. Januar als zweites von insgesamt sechs Kindern des Tischlermeisters Daniel Pitschmann und seiner Frau Lucie, geborene Schmidt geboren. Der Vater war im Ersten Weltkrieg schwer verwundet worden und konnte deshalb seinen Beruf nur noch eingeschränkt ausüben. Die Mutter entstammte einer alteingesessenen schlesischen Handwerker- und Lehrerfamilie. Das Wohnhaus der Familie in der Grünberger Maulbeerallee 3 (heute: Wisniowa 5) benannte Daniel Pitschmann nach seinen drei erstgeborenen Kindern Gottfried, Siegfried und Ruth „Haus Gosiru“ (später kamen noch Karl-Ernst, Erika und Dorothea hinzu).

1936
Von 1936 bis 1942 besuchte Siegfried Pitschmann die Volksschule in Grünberg, anschließend die Oberschule. Er bekam Klavierunterricht. Seine Asthma-Erkrankung erforderte immer wieder Kuraufenthalte, bei denen er unter starkem Heimweh litt.

1945
Zu Beginn des Jahres wurde die Familie mit den vier Kindern Siegfried, Karl-Ernst, Erika und Ruth in einem der letzten Flüchtlingszüge, die unversehrt aus Grünberg herauskamen, evakuiert. Zwei Geschwister lebten nicht mehr: Die kleine Schwester Dorothea war während des Krieges im Alter von zehn Monaten an Ernährungsstörungen gestorben, der ältere Bruder Gottfried, noch nicht achtzehnjährig, in den letzten Kriegsmonaten gefallen. Die Familie landete zufällig in Mühlhausen in Thüringen; mehr als vierzehn Tage hatte die Fahrt im Flüchtlingszug gedauert. Im Mühlhäuser Luftschutzkeller lernte Siegfried Pitschmann in den letzten Kriegstagen seinen Freund Klaus kennen. Für dessen Schwester Ingeborg – Pitschmanns erste große Liebe – verfasste er später ein Heftchen mit Liebeslyrik. Pitschmann brach die Schule ab. Nach Kriegsende arbeitete er in der Kunstgewerbe-Tischlerei, die sein Vater in Mühlhausen mittlerweile betrieb und bei einem Bauern, um die Familie mit Kartoffeln und Rüben versorgen zu können.

1946
Im Herbst begann Siegfried Pitschmann bei dem Mühlhäuser Uhrmachermeister Arthur Rost eine Uhrmacherlehre; zunächst gehegte Pläne für eine Modelltischlerlehre oder eine Karriere als Geiger beim Mühlhäuser Sinfonieorchester hatten sich nicht erfüllt. Siegfried Pitschmann entdeckte Rainer Maria Rilke und fühlte sich ihm seelenverwandt. Später würde er sagen, er habe von ihm den besonders genauen und sorgsamen Umgang mit Sprache gelernt. Der gerade sechzehnjährige Siegfried Pitschmann reichte beim Preisausschreiben des Volksbildungsministeriums zum besten Jugendbuch Thüringens die Erzählung „Monika und Friederchen“ ein und erhielt wegen seines beachtlichen Erzähltalents dafür einen Anerkennungspreis. In der Zeitung hatte er von dem Preisausschreiben gelesen und spontan zu schreiben begonnen. Danach entstanden die „Aufzeichnungen eines Lehrlings“; ein Text von ungefähr 150 Seiten. Das Manuskript ist nicht mehr vorhanden, aber Teile aus der Erzählung hat Siegfried Pitschmann später weiterverwendet.

1949
Siegfried Pitschmanns drei Geschwister übersiedelten in die Gegend von Hannover zu Verwandten. Die Eltern blieben zunächst in Mühlhausen.

1950
Pitschmann schloss erfolgreich seine Lehre ab und begann als Uhrmacher zu arbeiten. In einem privaten Kulturkreis Mühlhausens, in den er über die Vermittlung seines Freundes Klaus gekommen war, und in dem man sich alle vier Wochen zu Lesungen, Hausmusik und Gesprächen über Kunst traf, lernte er seine spätere Frau Elfriede Stölcker kennen, die aus einer alteingesessenen Mühlhäuser Gerberfamilie stammte. Elfriede Stölcker erkannte und förderte Siegfried Pitschmanns literarische Begabung. Sie stellte ihm ihre Schreibmaschine zur Verfügung. Pitschmann tippte die „Aufzeichnungen eines Lehrlings“ ab und Elfriede schickte das Manuskript an die „Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren Thüringens“ (AJA) in Weimar. Pitschmann wurde sofort angenommen; der Leiter Franz Hammer und die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft waren beeindruckt von Siegfried Pitschmanns Talent. Von nun an fuhr der junge Autor regelmäßig von Mühlhausen nach Weimar zu den Tagungen des Thüringer Schriftstellerverbandes. Voller Euphorie wendete sich Siegfried Pitschmann an KuBa (Kurt Barthel), den damaligen Sekretär des Schriftstellerverbandes. Charlotte Wasser betreute dessen junge Autoren und kümmerte sich in Barthels Auftrag nun auch um Siegfried Pitschmann. Ganz inoffiziell hingegen nahm Pitschmann Kontakt zum Westberliner „Tagesspiegel“ auf, der – vermittelt über Pitschmanns Tante in Berlin-Spandau – einige seiner Texte unter Pseudonym veröffentlichte. Pitschmann erzählte außer Elfriede niemandem davon.

1951
Siegfried Pitschmann und die dreizehn Jahre ältere Elfriede Stölcker heirateten; Elfriede brachte aus ihrer früheren Ehe zwei Söhne mit in die Beziehung. Die Familie lebte in einer kleinen Dachgeschosswohnung in der August-Bebel-Straße 53 in Mühlhausen. Eine ausgebaute Dachkammer diente Siegfried Pitschmann als Arbeitszimmer. Ende des Jahres wurde Pitschmann zum „Zweiten Deutschen Schriftstellerseminar“ im Kulturbundheim Eibenhof in Bad Saarow delegiert, wo er Bodo Uhse kennenlernte. An dem Nachwuchslehrgang des Deutschen Schriftstellerverbandes, der zehn Wochen dauerte, nahmen 22 junge Schriftsteller teil.

1952
Bodo Uhse und Günter Caspar, damals Redakteure bei der Literaturzeitschrift „Aufbau“, schickten den Jungschriftsteller mit dem Auftrag, eine Reportage zu schreiben, auf die Großbaustelle der Berliner Stalin-Allee. Es entstand Pitschmanns erste Veröffentlichung: die Erzählung „Sieben ist eine gute Zahl“; veröffentlicht im Juniheft des „Aufbau“. Der Mühlhäuser Kreisbibliothekar Hans-Joachim Weinert setzte sich ebenfalls für den begabten jungen Schriftsteller ein und ermöglichte ihm zahlreiche Lesungen. 

1953
Bodo Uhse schickte Siegfried Pitschmann auf eine weitere Reportagefahrt. Für den „Aufbau“ hatte Uhse ein Themenheft geplant, in dem es um die damals geführte kontroverse Diskussion über häusliche Erziehung versus Gruppenerziehung in Internaten gehen sollte. Siegfried Pitschmann besuchte mehrere DDR-Oberschulinternate und verarbeitete die Erlebnisse in einer Reportage. Im „Aufbau“ wurde sie nicht gedruckt, aber Uhse ermutigte Pitschmann, daraus einen literarischen Text zu machen. Die „Internatsgeschichten“ entstanden.[1] Der gemeinsame Sohn Thomas der Eheleute Elfriede und Siegfried Pitschmann wurde geboren. Bei dem Preisausschreiben des Deutschen Schriftstellerverbandes mit dem Thema „Die schönste Liebesgeschichte“ (bei dem Brigitte Reimann leer ausging) gewann Siegfried Pitschmann – gemeinsam mit drei weiteren Einsendern – einen zweiten Preis; ein erster Preis wurde nicht vergeben. Die Preisträger wurden von Anna Seghers in der kulturpolitischen Wochenzeitung „Sonntag“ vom 7. Juni bekanntgegeben und bekamen den Preis persönlich von ihr überreicht. Nach dem Volksaufstand vom 17. Juni wurden Schriftsteller gebeten, in die Betriebe zu gehen und die Stimmung festzuhalten. Siegfried Pitschmann besuchte für einige Tage die Uhrenfabrik in Ruhla – sein Metier – und schrieb eine kurze Reportage, in der er versuchte, die Arbeiter des Betriebes in einem möglichst positiven Licht darzustellen. In der Anthologie „Einen Schritt weiter“ (Thüringer Volksverlag Weimar) erschien Pitschmanns Erzählung „Eine halbe Stunde und fünf Minuten“.

1954
Siegfried Pitschmann beendete seine Tätigkeit als Uhrmacher, um als freiberuflicher Schriftsteller zu arbeiten. Doch trotz seines anfänglichen Erfolges gelang es ihm nicht, vom Schreiben leben zu können. Stattdessen musste er die Demütigung ertragen, von seiner vermögenden Frau ausgehalten zu werden. Die Ehe begann zu kriseln und existierte nur noch formell, nachdem Elfriede ihren späteren Mann kennengelernt hatte. Pitschmann begann zu trinken.

1957
Siegfried Pitschmann zog die Notbremse. Er war entschlossen, sein Leben von Grund auf zu verändern und seinen eigenen selbstständigen Weg zu finden. Er hörte von einem Tag auf den anderen auf zu trinken und ging im August auf die Großbaustelle des Kombinates Schwarze Pumpe in der Lausitz. Er arbeitete zunächst als Betonarbeiter, später als Maschinist für Baumaschinen. In seiner Brigade – einer Betonbrigade beim VEB Industriebau Cottbus – wusste niemand, dass er eigentlich Schriftsteller war. Erst kurz vor Weihnachten lüftete er das Geheimnis. Er wohnte in Hoyerswerda in der sogenannten „Zwischenbelegung“. Dabei handelte es sich um Wohnungen, die – bevor sie an Familien vermietet wurden – die Bauarbeiter von Schwarze Pumpe beherbergten. Dabei mussten sich jeweils mehrere Bauarbeiter eine Wohnung teilen; eigene Zimmer gab es nicht. 

1958
Im Februar fand Pitschmanns vorweggenommener „Bitterfelder Weg“ ein unfreiwillig jähes Ende, als ihm die sogenannte Betonkrätze und eine chronische Stirnhöhlenerkrankung die Weiterarbeit auf dem Bau unmöglich machten. Das „Abenteuer Schwarze Pumpe“ schien zu Ende. Günter Caspar, mittlerweile Lektor für zeitgenössische deutsche Literatur im Aufbau-Verlag, ermutigte ihn, die Erlebnisse in Schwarze Pumpe in einem Roman zu verarbeiten und organisierte Pitschmann dafür einen Arbeitsaufenthalt im Schriftstellerheim „Friedrich Wolf“ in Petzow: „Das war die ehemalige Villa von Marika Rökk. [...] Das Heimleiterehepaar waren die Eltern von Christa Wolf, Familie Ihlenfeld. Otto Ihlenfeld war der Heimleiter, Frau Ihlenfeld herrschte in der Küche, dazu kamen Angestellte, die die Zimmer in Ordnung hielten, Küchenkräfte und so weiter. [...] Später gab es andere Heimleiter, die Familie Zeisberg, die dann viele, viele Jahre lang Petzow gehütet hat.“[2] Im März begann Siegfried Pitschmann in Petzow an seinem autobiografischen Roman „Erziehung eines Helden“ zu arbeiten. Es sollte eine „große Erzählung über die Abenteuer eines jungen Mannes auf einer Großbaustelle werden, der überhaupt keine Ahnung von Bau und harter körperlicher Arbeit hat, ein verkrachter Musikstudent, der große Flausen im Kopf hat und Pianist werden will. Und das Leben rüttelt ihn dort erst mal zurecht. Und das ganze sollte heißen: 'Erziehung eines Helden', was natürlich ironisch gemeint war. Denn in der öffentlichen Kulturpolitikdiskussion wurde ja ständig gefragt: 'Wo sind die Helden von heute?' Das wollte ich ironisch aufgreifen und unterlaufen, weil das Leben anders ist, als man uns theoretisch vorgab.“[3] Im Schriftstellerheim lernte Siegfried Pitschmann Brigitte Reimann kennen; vom 21. März an waren sie ein Paar. Beide trennten sich von ihren jeweiligen Ehepartnern: Am 27. November wurde Brigitte Reimann geschieden, am 20. Dezember Siegfried Pitschmann. 

1959
Siegfried Pitschmanns Eltern übersiedelten von Mühlhausen nach Westdeutschland, wo drei ihrer Kinder bereits lebten. Siegfried Pitschmann blieb als einziges Familienmitglied in der DDR zurück. Am 10. Februar heirateten während eines erneuten Aufenthaltes im Schriftstellerheim Petzow Brigitte Reimann und Siegfried Daniel Pitschmann in Werder bei Potsdam; einziger Hochzeitsgast war beider Lektor Günter Caspar. Eine eigene Wohnung hatte das Paar zunächst nicht; sie wohnten in Brigitte Reimanns Elternhaus in Burg. Am 31. Juli versuchte Siegfried Pitschmann sich das Leben zu nehmen, weil sein Romanmanuskript „Erziehung eines Helden“ als warnendes Beispiel für den sogenannten „harten Stil“ bezeichnet und vom Schriftstellerverband in der Öffentlichkeit diffamiert worden war. Eine „Aussprache“ im Sekretariat des Deutschen Schriftstellerverbandes in Berlin hatte das Fass zum Überlaufen gebracht: „Bis zu dieser Strafsitzung hatte sich das alles verdichtet, es war so eine Art Vorgefühl und Vorahnung, aber ich wusste nichts Rechtes. Es wurde immer nur hinter vorgehaltener Hand irgendwas geraunt. Irgendein Wohlmeinender, der in Wirklichkeit mein Feind oder Konkurrent war, gab mir gewisse Dinge zu verstehen. Und da war das Grinsen der Eingeweihten über mich 'armes Würstchen', das noch keine Ahnung hatte. [...] Es war ein entsetzliches Abschlachten, ein Strafgericht. Für mich war in dieser einen Stunde alles aus. Etwas in mir zerbrach. Denn ich hatte meine nächste überschaubare Lebensspanne mit der Hoffnung auf dieses Buch und mit der Hoffnung auf mich selbst als Schriftsteller verbunden. [...] Ich war wirklich vollkommen verzweifelt.“[4] Erwin Strittmatter, der bei der Vorverurteilung des Pitschmann-Romans eine unrühmliche Rolle gespielt hatte, bemühte sich daraufhin, seinen Fehler wiedergutzumachen, beiden Schriftstellern neuen Mut zu geben und unterstützte sie bei den Planungen für einen Umzug nach Hoyerswerda. Im August begannen Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann bereits mit der Arbeit an dem Hörspiel „Ein Mann steht vor der Tür“, das im Kombinat Schwarze Pumpe spielen sollte. 

1960
Am 6. Januar zogen Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann nach Hoyerswerda in die Liselotte-Hermann-Straße 20; ihre erste gemeinsame Wohnung. Siegfried Pitschmann betonte in seinen Lebenserinnerungen: „Aber wir sind eben nicht auf Grund der Erfindung des 'Bitterfelder Weges' später nach Hoyerswerda gegangen, sondern es war meine eigene Idee. Einmal, um mir neue Lebensbereiche zu erschließen, zum anderen hatte ich auch das Gefühl, dass es für Brigitte gut wäre, wenn sie die Burger Luft wechseln und woanders hingehen würde, damit sie sich nicht in ihrem engen Lebenskreis festschreibt. So dachte ich, für sie müsse das doch hochinteressant sein, wenn sie eine aufregende Gegend wie die 'Schwarze Pumpe' erkunden könnte. Die kulturpolitische Entwicklung kam uns da entgegen. Ich habe irgendwann im Schriftstellerverband verlauten lassen, dass wir an die 'Produktionsbasis' gehen wollten – so hieß ja das Schlagwort. Und damit war ich hochwillkommen.“[5] Am 3. Februar schlossen sie einen Freundschaftsvertrag mit dem Kombinat Schwarze Pumpe. Brigitte Reimann arbeitete ab April einmal wöchentlich im Kombinat in einer Brigade von Rohrschlossern und Instandsetzungsmechanikern als Hilfsschlosser, Siegfried Pitschmann in der Brikettherstellung. Beide leiteten gemeinsam einen „Zirkel Schreibender Arbeiter“, organisierten Lesungen in Brigaden, arbeiteten an der Betriebszeitung mit und unterstützten das Arbeitertheater. Im April gewannen Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann mit ihrem Hörspiel „Ein Mann steht vor der Tür“ den 2. Preis im Internationalen Hörspielwettbewerb. Sie schrieben ein weiteres Hörspiel mit dem Titel „Sieben Scheffel Salz“. Gemeinsam erhielten sie am 2. Dezember die Ehrennadel in Gold „Erbauer des Kombinats Schwarze Pumpe“. Am selben Tag war die Uraufführung des Theaterstückes „Ein Mann steht vor der Tür“ durch das Arbeitertheater des Kombinates Schwarze Pumpe.

1961
Am 27. Januar begann Brigitte Reimann eine folgenschwere Affäre mit Hans Kerschek, Raupenfahrer im Kombinat Schwarze Pumpe. Siegfried Pitschmann ahnte zunächst nichts. Am 16. Juni erhielten Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann den Literaturpreis des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) für die gemeinsamen Hörspiele „Ein Mann steht vor der Tür“ und „Sieben Scheffel Salz“. Im September reisten sie als Belohnung für den Erfolg beim Internationalen Hörspielwettbewerb nach Prag. Siegfried Pitschmanns erste eigene Buchveröffentlichung, der Erzählband „Wunderliche Verlobung eines Karrenmanns“ (gewidmet Brigitte Reimann), erschien im Aufbau-Verlag.

1962
Am 21. Januar wurde das Fernsehspiel „Die Frau am Pranger“ nach Brigitte Reimanns gleichnamiger Erzählung mit großem Erfolg im Deutschen Fernsehfunk ausgestrahlt; das Drehbuch hatten Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann gemeinsam geschrieben. In der „Kleinen Jugendreihe“ des Verlages Kultur und Fortschritt Berlin erschien als 23. Heft des Jahres Pitschmanns Erzählung „Das Netz“. Dabei handelte es sich um die stark bearbeitete Fassung des dritten Romankapitels „Neuling im Netz“ aus seinem damals unveröffentlichten Roman „Erziehung eines Helden“.

1964
Die Ehe mit Brigitte Reimann brachte Siegfried Pitschmann kein langfristiges privates Glück. Als er am 2. Januar für zwei Monate nach Petzow ins Schriftstellerheim fuhr, wusste er, dass er sich von Brigitte Reimann trennen und nicht nach Hoyerswerda zurückkehren würde. Die jahrelange Dreiecksbeziehung hatte seine Kräfte zermürbt. Doch im Schriftstellerheim konnte Siegfried Pitschmann nicht dauerhaft wohnen bleiben. Sein Kollege Dieter Noll, dem die dramatische Wendung in der Ehe seines Freundes nicht verborgen geblieben war, bot ihm Hilfe an. Er besaß einen Garten an einem See in Königs Wusterhausen bei Berlin, in dem ein alter Wohnwagen stand, der früher Artisten gehört hatte. Ostern zog Pitschmann in seine provisorische und äußerst spartanische Behausung ein. Ab Herbst konnte Siegfried Pitschmann wieder im Petzower Schriftstellerheim wohnen und dort sogar seine Hoyerswerdaer Möbel unterstellen. Am 13. Oktober wurden Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann geschieden. Pitschmann legte die „Erziehung eines Helden“ (Aisthesis, 2015) endgültig auf Eis und begann seinen neuen Roman mit dem Arbeitstitel „Reise des Lodekind“. Der Roman blieb unvollendet; Pitschmann wollte es nach dem Debakel um „Erziehung eines Helden“ bis zu seinem Lebensende nicht mehr gelingen, unbelastet zu schreiben. Bei Noll lernte Siegfried Pitschmann ein junges Mädchen kennen. Sie war Anfang zwanzig, stammte aus Rostock und arbeitete in der Staatsbibliothek in Ostberlin. Birgitt und Siegfried Pitschmann heirateten am 29. Dezember.

Siegfried Pitschmann bei einer Lesung im
Kombinat Schwarze Pumpe (1964)
Foto: Zentralarchiv VE Mining & Generation,
Schwarze Pumpe [5]


1965
Am 30. März zog Pitschmann mit seiner Frau nach Rostock, wo ihnen eine kleine Zweizimmer-Neubauwohnung zugewiesen wurde. Pitschmann trat die Nachfolge von Johann Wesolek an und wurde Vorsitzender des Schriftstellerverbandes des Bezirkes Rostock an und betreute auch die „Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren“ (AJA) des Bezirkes. Die ehrenamtliche Funktion ließ ihm kaum Zeit zum Schreiben.

1968
Siegfried Pitschmanns zweite Buchveröffentlichung, der Erzählband „Kontrapunkte“, erschien im Aufbau-Verlag.

1969
Tochter Nora kam zur Welt.

1970
„Kontrapunkte“ wurde in polnischer Übersetzung unter dem Titel „Kontrapunkty“ im Panstwowy Instytut Wydawniczy veröffentlicht.

1974
Siegfried Pitschmann recherchierte im Wissenschaftler-Milieu und schrieb die Erzählung „Fünf Versuche über Uwe“, die Lothar Warneke 1974 unter dem Titel „Leben mit Uwe“ verfilmte (Drehbuch: Siegfried Pitschmann). Die erste Auflage des Erzählbandes „Männer mit Frauen“ erschien innerhalb der Reihe „bb“ des Aufbau-Verlages. 

1975
Siegfried Pitschmann begann bei Hanns Anselm Perten am Volkstheater Rostock als künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter und als Dramaturg zu arbeiten. Die drei Einakter „Die Wassertreter“, „Blaue Trambahnen“ und „Die Aviatiker“ erschienen unter dem Titel „Er und Sie. Drei Studien für Schauspieler und Publikum“ im Aufbau-Verlag. 

1976
Siegfried Pitschmanns dritte Ehe wurde geschieden. Die Theaterfassung von „Er und Sie“ wurde am Volkstheater Rostock uraufgeführt und fünfzigmal mit großem Erfolg gespielt. Siegfried Pitschmann wurde der Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR verliehen. 

1977
Siegfried Pitschmann heiratete ein viertes und letztes Mal. 

1978
Die zweite Auflage des Erzählbandes „Männer mit Frauen“ erschien. Siegfried Pitschmann erhielt den Louis-Fürnberg-Preis. Als Studiogastspiel des Volkstheaters Rostock wurden – unter der Fernsehregie von Wolfram Suckau – die Theaterstücke „Die Wassertreter“ und „Die Aviatiker“ am 12. Februar im II. Programm des DDR-Fernsehens ausgestrahlt; am 25. März „Die Aviatiker“ im I. Programm (Wiederholung am 1. November 1979).

1982
Siegfried Pitschmann nahm gemeinsam mit Volker Braun, Werner Heiduczek und anderen an einem einjährigen Weiterbildungskurs am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ in Leipzig teil. Jeweils eine Woche im Monat waren die Teilnehmer in Leipzig. Der Kurs wurde von Max Walter Schulz geleitet. Der Erzählband „Auszug des verlorenen Sohns“ erschien bei Reclam Leipzig.

1983
Siegfried Pitschmanns zweiter Sohn David wurde geboren.

1989
Seit Mai war Siegfried Pitschmann auf Grund seiner gesundheitlichen Probleme Invalidenrentner.

1990
Im Einvernehmen mit seiner Frau kehrte Siegfried Pitschmann nach Thüringen zurück. Er lebte in einer kleinen Zweizimmerwohnung in Suhl und zog sich zunächst für zwei Jahre von der Öffentlichkeit zurück

1992
Siegfried Pitschmann wurde Vorstandsmitglied der „Literarischen Gesellschaft Thüringen“ und setzte sich für junge Autoren ein.

1993
Am 4. Dezember kehrte Siegfried Pitschmann ein letztes Mal nach Hoyerswerda zurück und hielt zum „Tag der heiligen Barbara“, dem Festtag der Bergleute, eine viel beachtete Rede.[6]

1999
Siegfried Pitschmann gab in Sabine Ranzingers Feature „Und trotzdem haben wir immerzu geträumt davon“ Auskunft über Leben, Lieben und Arbeiten mit Brigitte Reimann.

2000
Anlässlich Siegfried Pitschmanns siebzigstem Geburtstag erschien sein letzter Erzählband „Elvis feiert Geburtstag“ als Aufbau Taschenbuch.

2001
Im Oktober sprach Siegfried Pitschmann seine Lebenserinnerungen auf Band. Marie-Elisabeth Lüdde, Oberkirchenrätin und gute Freundin in Pitschmanns letzten Lebensjahren, hatte die Idee gehabt und führte die Interviews mit ihm; eine ganze Woche lang. 15 Stunden Tonbandprotokoll entstanden.[7]

2002
Am 29. August starb Siegfried Pitschmann in Suhl. Auf seinen Wunsch hin wurde er in Mühlhausen beerdigt. Die Trauerfeier mit anschließender Urnenbeisetzung fand am 27. September auf dem Neuen Friedhof in Mühlhausen statt. Die Trauerrede hielt Marie-Elisabeth Lüdde. 2004 gab sie unter dem Titel „Verlustanzeige“ postum – wie mit Pitschmann vereinbart – die 2001 entstandenen Tonbandprotokolle als Buch heraus. Der Nachlass Siegfried Pitschmanns befindet sich seit Oktober 2008 als Dauerleihgabe im Literaturzentrum Neubrandenburg.


Werke

Ein Mann steht vor der Tür (1960, Hörspiel, gemeinsam mit Brigitte Reimann); Sieben Scheffel Salz (1960, Hörspiel, gemeinsam mit Brigitte Reimann); Wunderliche Verlobung eines Karrenmanns (1961); Die Frau am Pranger (1962, Drehbuch, gemeinsam mit Brigitte Reimann); Das Netz (1962); Kontrapunkte (1968, polnisch 1970); Der glückliche Zimpel, die Frau und die Flugzeuge (1973, Hörspiel); Leben mit Uwe (1974, Szenarium zum DEFA-Film von Lothar Warneke); Männer mit Frauen (1974); Er und Sie : drei Studien für Schauspieler und Publikum (1975 Buch; 1976 Theaterstück); Auszug des verlorenen Sohns (1982); „Und trotzdem haben wir immerzu geträumt davon“. Siegfried Pitschmann über Leben, Lieben und Arbeiten mit Brigitte Reimann (1999, Feature von Sabine Ranzinger); Elvis feiert Geburtstag (2000). Postum: Verlustanzeige (2004); Vier Erzählungen (2004); Schreiben und Erzählen (2012); „Wär schön gewesen!“ (2013, Briefwechsel mit Brigitte Reimann); Erziehung eines Helden (2015); Erzählungen aus Schwarze Pumpe (2016); Siegfried Pitschmann in Mühlhausen (2017)


Anmerkungen


[1] Fragment. Unveröffentlicht.
[2] Siegfried Pitschmann in einem Interview mit Marie-Elisabeth Lüdde im Oktober 2001. – In: Verlustanzeige. – Weimar : Wartburg-Verlag, 2004. – Seite 55-56.
[3] Verlustanzeige. – Seite 54-55.
[4] Verlustanzeige. – Seite 78-80.
[5] Verlustanzeige. – Seite 76.
[6] In der vollständigen Originalfassung veröffentlicht im Band „Erzählungen aus Schwarze Pumpe“.
[7] 2004 wurde der autobiografische Bericht unter dem Titel „Verlustanzeige“ wie vereinbart postum veröffentlicht.