„Wär schön gewesen!“ – Der Briefwechsel zwischen Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann
Hrsg. von Kristina Stella. Bielefeld: Aisthesis 2013, ISBN 978-3-89528-975-0, 309 Seiten, Hardcover, EUR 24.80
Interview zum Buch im Hessischen Rundfunk
Die in diesem Band erstmals veröffentlichte Korrespondenz zwischen Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann schließt eine Lücke in den bereits erschienenen Briefwechseln der DDR-Schriftstellerin und ermöglicht Einblicke in das private und berufliche Zusammenleben Brigitte Reimanns mit ihrem Ehemann und Schriftstellerkollegen Siegfried Pitschmann.
Der Band gibt auch Auskunft über Ereignisse, die Brigitte Reimann in ihren Tagebüchern nicht thematisiert, und lässt bislang unbekannte Facetten der Autorin entdecken. Die zwischen 1958 und 1971 entstandenen Briefe zeugen darüber hinaus von der Euphorie der Künstler in der Frühzeit der DDR; sie geben ein authentisches Zeugnis aus der Zeit des „Bitterfelder Weges“ und der „Ankunftsliteratur“ und berichten vom Leben und Schreiben der Schriftsteller in der noch jungen Republik. Eine Auswahl aus den 54 Zeichnungen, die Siegfried Pitschmann für Brigitte Reimann angefertigt hat, wird hier zum ersten Mal veröffentlicht. In kurzen Zwischentexten liefert die Herausgeberin Informationen, die zum besseren Verständnis der Briefe beitragen. Ein Register gibt Auskunft über die in den Briefen erwähnten Personen. Im Verzeichnis der Briefe werden alle Originalvorlagen aufgeführt, beschrieben, mit Inventarisierungsnummern versehen und ihre Aufbewahrungsorte nachgewiesen.
Pressestimmen
Der nun veröffentlichte Briefwechsel zwischen der großen DDR-Autorin und ihrem als Schreiber hochbegabten, aber auch verkannten Mann ist ein literarisches Ereignis.
„Zeit im Osten“, 25.07.2013
Die Liebesgeschichte mit dem sensiblen und skrupulösen Pitschmann, der, anders als sie, ewig an seinen Texten laboriert und zu keinem Ende kommt, ist aus dem Reimann-Tagebuch vertraut. In einem nun publizierten Band mit den Briefen des Paares werden der Geschichte neue Dimensionen hinzugefügt: nicht allein die Perspektive des Ehemanns, der wunderbar zartfühlende und begehrliche Briefe schreibt, sondern auch ihr Geschick, die erotischen Eskapaden ganz anders als im Tagebuch darzustellen.
Volker Hage in „Der Spiegel“, 29/2013
In jedem Fall tut man gut daran, diesen Briefband parallel zu den – leider nur lückenhaft publizierten – Tagebüchern Brigitte Reimanns zu lesen, die 1997 und 1998 im Aufbau-Verlag erschienen sind.
Tilman Spreckelsen in „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 19.07.2013
Die Briefe – angereichert mit Fotografien und mit 54 feinsinnigen Zeichnungen Siegfried Pitschmanns – sind weit mehr als ein Lückenschluss in der vielfältigen Korrespondenz der Brigitte Reimann. Sie offerieren dem heutigen Leser ganz nebenher zeitgeschichtliche Momentaufnahmen, und sie sind ein literarisches Vermächtnis, insbesondere das des Siegfried Pitschmann. Sie bezeugen die Authentizität einer aus dem Schatten geholten Schriftsteller-Persönlichkeit. Sie ermöglichen die gleichrangige Wahrnehmung eines literarischen Feingeistes, der die Kurzprosa handhabte wie ein filigranes Uhrwerk.
Hannelore Frank in „Freies Wort“, 09.11.2013
Inhalt
Vorwort
Hinweise zu dieser Ausgabe
Briefe Brigitte Reimann – Siegfried Pitschmann
Anhang
Personenverzeichnis
Briefverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Archivverzeichnis
Dank
Leseprobe
„Ach, Jake“, sagte Brett. „Wir hätten so glücklich zusammen sein können.“ Vor uns hielt ein berittener Schutzmann in Khaki, der den Verkehr regelte. Er hob seinen Stab. Das Auto stoppte plötzlich und warf Brett eng an mich. „Ja“, sagte ich. „Wär schön gewesen.“
Ernest Hemingway, „Fiesta“
Ernest Hemingway, „Fiesta“
***
Am 28. März 1965 erhält Brigitte Reimann für ihre Erzählung „Die Geschwister“ den Heinrich-Mann-Preis der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin, und Siegfried Pitschmann, gerade zurückgekehrt von seiner Reise nach München und noch voll im Umzugsstress, schickt ihr seine Glückwünsche.
***
25 Rostock-Südstadt, Lomonossow-Straße 14
d. 21.4.1965
d. 21.4.1965
Liebe Brigitte!
Bitte sei mir nicht böse, wenn ich erst heute mit meinen Glückwünschen zu Deiner Auszeichnung ankomme. Ich hab’s selber gar nicht mitgekriegt; Herbert Nachbar sagte es mir neulich, als er zu einem Informationsgespräch bei mir war. Du weißt ja, daß ich in München war, und einen Tag nach der Rückkehr kam der Möbelwagen, und es war eine einzige Hetzerei, und Du erinnerst Dich ja auch noch an den vielen „Möl“-Kram, der bei einem Umzug zu erledigen ist. Also: Ich gratuliere Dir herzlich zum Heinrich-Mann-Preis. (Der andere war Bobrowski, nicht wahr?)
Was macht Dein Buch? Wie geht es Deinem Mann? Hat er Dir erzählt, daß er mich zu Noll gefahren hatte an dem Tag, an dem ich abends nach München fuhr? München war übrigens Scheiße – entschuldige; aber ich bin nun auch nicht mehr für Gesamtdeutschland. Das sind dort unten rechte wie linke Snobs, und die linken sind eigentlich noch schlimmer, weil man ja eigentlich ihr Verbündeter sein sollte. Einem Reaktionär kann man ja ohne weiteres grob und gemein kommen. Natürlich würde ich wieder nach der Westzone fahren, wenn ich darum gebeten werde; schon allein die Bücher und Schallplatten, die ich mitgeschleppt habe, sind eine solche Mistreise wert. (Spesen waren ja ziemlich reichlich, und ich habe mit Essen usw. geknausert). Nun habe ich also auch wie Jensi Gerlachlein den Reverend Kelsey …
Der Umzugstrubel ist gottseidank vorbei, nun fange ich wieder an zu arbeiten. Ich wünsche Dir alles Gute und
Bitte sei mir nicht böse, wenn ich erst heute mit meinen Glückwünschen zu Deiner Auszeichnung ankomme. Ich hab’s selber gar nicht mitgekriegt; Herbert Nachbar sagte es mir neulich, als er zu einem Informationsgespräch bei mir war. Du weißt ja, daß ich in München war, und einen Tag nach der Rückkehr kam der Möbelwagen, und es war eine einzige Hetzerei, und Du erinnerst Dich ja auch noch an den vielen „Möl“-Kram, der bei einem Umzug zu erledigen ist. Also: Ich gratuliere Dir herzlich zum Heinrich-Mann-Preis. (Der andere war Bobrowski, nicht wahr?)
Was macht Dein Buch? Wie geht es Deinem Mann? Hat er Dir erzählt, daß er mich zu Noll gefahren hatte an dem Tag, an dem ich abends nach München fuhr? München war übrigens Scheiße – entschuldige; aber ich bin nun auch nicht mehr für Gesamtdeutschland. Das sind dort unten rechte wie linke Snobs, und die linken sind eigentlich noch schlimmer, weil man ja eigentlich ihr Verbündeter sein sollte. Einem Reaktionär kann man ja ohne weiteres grob und gemein kommen. Natürlich würde ich wieder nach der Westzone fahren, wenn ich darum gebeten werde; schon allein die Bücher und Schallplatten, die ich mitgeschleppt habe, sind eine solche Mistreise wert. (Spesen waren ja ziemlich reichlich, und ich habe mit Essen usw. geknausert). Nun habe ich also auch wie Jensi Gerlachlein den Reverend Kelsey …
Der Umzugstrubel ist gottseidank vorbei, nun fange ich wieder an zu arbeiten. Ich wünsche Dir alles Gute und
grüße Dich herzlich.
Siegfried
Siegfried
Hat Dir Vater Reimann geschrieben, daß ich für eine Stunde bei ihm war? Ich habe in Burg (als der einzigen Stadt der DDR) im Laden „neue Kunst“ eine überbreite Liege erstanden, nachdem ich in Potsdam und Rostock vergeblich ein halbes Jahr lang bestellt hatte.
***
Der nächste Anlass für einen Briefwechsel ist ein sehr trauriger: Am 14. Oktober 1965 verunglückt Erwin Hanke, Meister in Brigitte Reimanns Brigade im Kombinat Schwarze Pumpe und enger Freund von Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann, tödlich bei einem Autounfall. Brigitte Reimanns Briefe hierzu sind leider nicht mehr vorhanden, der Inhalt kann aber in etwa rekonstruiert werden. Zunächst informiert sie Siegfried Pitschmann über Hankes Tod. Dann erhält sie einen Brief des Anwalts Hans-Gerhard Cheim, der im Auftrag von Hankes Witwe dessen Angelegenheiten regelt.
Der Hintergrund: 1960, kurz nach ihrem Umzug nach Hoyerswerda, hatte Erwin Hanke Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann eine größere Geldsumme für Möbelanschaffungen geliehen, und nun fordert der Anwalt den Betrag zurück. Obwohl sich Reimann und Pitschmann darin einig sind, den Betrag längst vollständig zurückbezahlt zu haben, lässt sich dies nicht mehr beweisen, denn die schriftlichen Unterlagen sind verloren gegangen.
Der Hintergrund: 1960, kurz nach ihrem Umzug nach Hoyerswerda, hatte Erwin Hanke Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann eine größere Geldsumme für Möbelanschaffungen geliehen, und nun fordert der Anwalt den Betrag zurück. Obwohl sich Reimann und Pitschmann darin einig sind, den Betrag längst vollständig zurückbezahlt zu haben, lässt sich dies nicht mehr beweisen, denn die schriftlichen Unterlagen sind verloren gegangen.
***
19.10.65
Liebe B.,
Deine Nachricht von Erwins Tod hat mich zu Boden geschlagen; ich konnte den ganzen Tag keine Zeile arbeiten. Dieses Ende ist so absurd und wahnwitzig, und ich denke dauernd drüber nach, ob Erwin wohl in der letzten Sekunde eine seiner merkwürdig trockenen, unvergleichlichen Bemerkungen gemacht hat, etwa: Na, Schwager?, ehe er begriff, ehe der Anprall ihn auslöschte – fall er überhaupt mitbekam, wie dieser verdammte Wagen plötzlich ausscherte. Es verunglücken täglich tausend Leute, immerzu wird irgendwo was weggewischt, ausgeblasen, zerschmettert, aber dieser Tod ist einfach nicht vorstellbar: Erwin, der Ritter der tausend Gefahren, der listenreiche, verläßliche, vergnügte Mann, der – in seinen Grenzen – gute Mensch, der „immer noch eins drauf“ gab – und nun einfach nicht mehr vorhanden.
Natürlich kommen jetzt erst recht Erinnerungen herauf, und ich laufe täglich in meinem Zimmer drauf herum, auf etwas, das an Erwin erinnert, – damals nämlich fuhren wir mit Erwin im Jeep nach Bernsdorf und holten meinen Teppich … Damals, damals, – und seit drei Monaten weiß ich, daß eine meiner 25 stories von Erwin handelt, gespenstigerweise in Verbindung mit einem Begräbnis, da stehen schon Notizen auf meiner Liste, und nun muß ich die Geschichte sehr bald schreiben; sie bekommt durch die heimtückische „Wirklichkeits“-Korrektur einen unheimlichen Drall, und da haben wir’s wieder: Diese Schriftsteller sind durch und durch schamlos und unmoralisch und ein Volk von Schächtern und Auswaidern …
Du verstehst – ich mußte ein bißchen über Erwin reden, nachdem ich den ganzen Tag vor mich hingeheult habe; ich hab’s auch meiner Frau erzählt, – hatte ihr früher schon, aus der „RSP-Kiste“, von ihm was vorgeschwärmt –, aber Du hast ihn gekannt. Eben deshalb. Schreib bitte keine Antwort; die Eifersucht ist mein ständiger, lebenslänglicher Verfolger, stets anders modifiziert, deshalb schreibe ich – zum erstenmal – heimlich. Ich glaube auch, daß dieser Brief gar keiner Antwort bedarf. Hoffentlich macht’s nun Deinem Mann keinen Kummer, wenn Du diese Post bekommst. – Übrigens sitze ich bereits in meiner 8. storie. Demnächst was in der Wochenpost. „Texte“ 5 enthält Stück Lodekind; Dir unbekannt.
Deine Nachricht von Erwins Tod hat mich zu Boden geschlagen; ich konnte den ganzen Tag keine Zeile arbeiten. Dieses Ende ist so absurd und wahnwitzig, und ich denke dauernd drüber nach, ob Erwin wohl in der letzten Sekunde eine seiner merkwürdig trockenen, unvergleichlichen Bemerkungen gemacht hat, etwa: Na, Schwager?, ehe er begriff, ehe der Anprall ihn auslöschte – fall er überhaupt mitbekam, wie dieser verdammte Wagen plötzlich ausscherte. Es verunglücken täglich tausend Leute, immerzu wird irgendwo was weggewischt, ausgeblasen, zerschmettert, aber dieser Tod ist einfach nicht vorstellbar: Erwin, der Ritter der tausend Gefahren, der listenreiche, verläßliche, vergnügte Mann, der – in seinen Grenzen – gute Mensch, der „immer noch eins drauf“ gab – und nun einfach nicht mehr vorhanden.
Natürlich kommen jetzt erst recht Erinnerungen herauf, und ich laufe täglich in meinem Zimmer drauf herum, auf etwas, das an Erwin erinnert, – damals nämlich fuhren wir mit Erwin im Jeep nach Bernsdorf und holten meinen Teppich … Damals, damals, – und seit drei Monaten weiß ich, daß eine meiner 25 stories von Erwin handelt, gespenstigerweise in Verbindung mit einem Begräbnis, da stehen schon Notizen auf meiner Liste, und nun muß ich die Geschichte sehr bald schreiben; sie bekommt durch die heimtückische „Wirklichkeits“-Korrektur einen unheimlichen Drall, und da haben wir’s wieder: Diese Schriftsteller sind durch und durch schamlos und unmoralisch und ein Volk von Schächtern und Auswaidern …
Du verstehst – ich mußte ein bißchen über Erwin reden, nachdem ich den ganzen Tag vor mich hingeheult habe; ich hab’s auch meiner Frau erzählt, – hatte ihr früher schon, aus der „RSP-Kiste“, von ihm was vorgeschwärmt –, aber Du hast ihn gekannt. Eben deshalb. Schreib bitte keine Antwort; die Eifersucht ist mein ständiger, lebenslänglicher Verfolger, stets anders modifiziert, deshalb schreibe ich – zum erstenmal – heimlich. Ich glaube auch, daß dieser Brief gar keiner Antwort bedarf. Hoffentlich macht’s nun Deinem Mann keinen Kummer, wenn Du diese Post bekommst. – Übrigens sitze ich bereits in meiner 8. storie. Demnächst was in der Wochenpost. „Texte“ 5 enthält Stück Lodekind; Dir unbekannt.
Grüße!
D.
D.